Der "plouc": eine negative Darstellung der Bretonen

Ende des 19. Jahrhunderts. Auf der Suche nach einem besseren Leben verlassen viele Bretonen ihre Region und lassen sich in Paris nieder. Die meisten von ihnen sprechen nur Bretonisch. Für die Pariser ist diese Sprache unverständlich und grob. Sie hören nur den Laut "plou", der allgegenwärtig zu sein scheint. So werden die Bretonen in den Augen der Pariser zu "ploucs".

 

 

Le plouc - Karambolage - ARTE

 

Die Bretonen in Paris

"So ein Plouc! Ein Plouc ist ein ungehobelter Mensch, ein Tölpel. Es handelt sich um ein französisches Schimpfwort, ein sehr negatives Substantiv. Um seinen Ursprung zu verstehen, versetzen wir uns ans Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Die bretonischen Bauern kämpfen ums Überleben. Viele verlassen auf der Suche nach einer besseren Zukunft ihre Höfe, und weil das Eisenbahnnetz seit kurzem Brest, Nantes und Quimper erreicht, kaufen sich Tausende eine Fahrkarte nach Paris. 

Kurz vor dem Ersten Weltkrieg gibt es schätzungsweise 200.000 Bretonen in der Hauptstadt. Die meisten sind Bauern und sprechen nur Bretonisch. Die Pariser behandeln sie geringschätzig, doch die Bretonen sind billige Arbeitskräfte, die sich nicht vor undankbaren Aufgaben scheuen und arbeiten vor allem als Hausangestellte. Die Männer werden Kutscher, Frauen oder Töchter Dienstboten. Jeder anständige Bürger hat sein bretonisches Dienstmädchen. 

Wenn man sie fragt, woher sie kommen, hört sich das immer wie "Plou" irgendwas an: Plougastel, Plougasnou, Plouguenast, Plougonven, Plougonver, Plouguerneau, Plounérin. In der Bretagne, im Finistère und an der Côte d'Armor gibt es an die 70 Orte, die mit "Plou" beginnen. Was so viel wie Pfarrgemeinde heißt. So nennen die Pariser die Bretonen kurzerhand "Plouc", ein Wort, in dem ihre ganze Verachtung für deren bäuerlichen Ursprung durchscheint. 

Bécassine, der Archetyp des dummen Dienstmädchens

Diese Geringschätzung bekommt bald Verstärkung durch Bécassine. 1905 erscheint eine neue Wochenzeitung für Mädchen. La Semaine de Suzette. Kurz vor der ersten Ausgabe fällt ein Redakteur aus. Die Chefredakteurin, Madame Bernard de La Roche, muss eine leere Seite füllen. Sie berichtet über ein Missgeschick ihres bretonischen Dienstmädchens und lässt die Geschichte von einem befreundeten Zeichner illustrieren. Bécassine ist geboren. Grünes Kleid, weiße Schürze, typische Kopfbedeckung: die perfekte Karikatur der Bretonin  in Paris. Da sie dusselig ist, unterstreicht ihr Name Bécassine: Eine “bécasse” Schnepfe ist ein Vogel und umgangssprachlich auch ein dümmliches Mädchen. Bécassine wird ein voller Erfolg, zuerst in der Semaine de Suzette, dann in Comic-Heften. 27 Alben insgesamt. Mehrere Generationen kleiner Franzosen sind mit diesem Bild der bretonischen Bäuerin aufgewachsen. Ein tapferes, naives Mädchen, etwas dümmlich, aber gutherzig. Bécassine  bestätigt die Franzosen in der Annahme, dass die Bretonen “ploucs”, Tölpel sind. Kein Wunder, dass die Bretonen diese Karikatur eines Tages leid waren, und so kam es, dass auf Bécassine ein Attentat verübt wurde. 1939 planen drei Pariser-Bretonen, ihre Figur im Wachsfigurenkabinett Musée Grévin zu zerstören. Bécassine sei weder ihre Heldin, noch eine entfernte Verwandte. Sollten Sie in die Bretagne fahren, spielen Sie also lieber nicht auf Bécassine an, und auch nicht auf die leidige Geschichte mit dem Blick. [Musik]"

 

Kommentar verfassen

Anti-Spam