Die Fabeln von Jean de La Fontaine

In Frankreich ist Jean de la Fontaine nicht nur ein klassischer, sondern auch ein populärer Autor. Wir alle haben in der Schule seine Fabeln gelernt, deren erste Ausgabe 1668 veröffentlicht wurde.
Was sind das für Fabeln? Sagen wir kurze, prägnante Erzählungen, die aus Dialogen bestehen, was sie so lebendig macht. Sie handeln meist von Tieren, die den Menschen zum Verwechseln ähnlich sehen und alle ihre Fehler haben. Kurz gesagt: Sie sind genauso eitel, gerissen und machthungrig wie ihre menschlichen Vorbilder.
Trotz dieses wenig schmeichelhaften Spiegels, den er ihnen - wie sein Zeitgenosse Molière - mehr als dreieinhalb Jahrhunderte später vorhält, spricht La Fontaine den Franzosen immer noch aus dem Herzen.

 

Les fables de La Fontaine - Karambolage - ARTE

 

Klassiker der Kindheit

Wieder Mal in Eile remple ich einen älteren Herrn an. Noch bevor ich eine Entschuldigung stammen kann, sagt er : « es nützt uns nicht der schnellste Lauf ; bricht man zur

rechten Zeit nicht auf ». Wir sind uns einig : ich renne, stolpere und verspäte mich ; also bin ich ein schneller, oberflächlicher Haase, er ist eine langsame, weise Schildkröte.

Ein Franzose erkennt sofort die Anspielung auf die Fabeln von Jean de La Fontaine, denn alle Franzosen haben sie, genau wie „der Rabe und der Fuchs“ oder „die Griller und die Ameise“, auswendig lernen müssen. Für mich war es das erste Gedicht in der Schule, für den alten Herrn bestimmt auch. Und für Generationen von französischen Kindern vor ihm, bis hin zu König Ludwig von Frankreich, dem ältesten Sohn von Ludwig dem Vierzehnten. Ihm waren die Fabeln nämlich gewidmet als sie 1668 erschienen.

In den Fabeln erleben Tiere einfache, lustige, manchmal aber auch grausame Abenteuer, ideal für sieben bis achtjährige. Die Sinnsprüche mit denen sie schließen sind so pointiert dass sie in die Umgangssprache eingegangen sind. Sind die Fabeln also nur nette Kindergeschichten ?

Nein, sie sind vielmehr denn sie sehen die Welt nicht mit Kinderaugen.

Ein pessimistischer Blick auf die Gesellschaft und die Macht

Im Gegenteil. Sie werfen einen zynischen Blick auf sie. Die Starken gewinnen praktisch immer gegen die Schwachen und die Naïven. Der Wolf bringt das wunderbar auf dem Punkt. „Das Argument des stärksten ist immer das Beste“. Schon der Philosoph Jean-Jacques Rousseau erkannte den unmoralischen Aspekt dieser Fabeln und fand es unerhört, dass man so etwas Kindern vorsetzte.

Die Ungnade von Fouquet, dem Beschützer des Dichters

Man muss dazu sagen, dass Jean de La Fontaine triftige Gründe für seine pessimistische Weltsicht hatte. Sein Gönner, der allmächtige Finanzminister Nicolas Fouquet fiel von einem Tag auf den anderen in Ungnade und landete im Gefängnis weil Ludwig der Vierzehnte ihn um seinen Reichtum beneidete. Alle Freunde wandten sich von Fouquet ab. Lafontaine war einer der letzten der noch zu ihm hielt; deshalb wettert unser Dichter gegen Charakterschwäche Heuchelei, Leichtsinn, Hochmut, kurz alle Laster der Menschheit. Das erklärt aber nicht die riesige Resonanz der sich seine Fabeln seit dreieinhalb Jahrhunderten erfreuen.

Ein eleganter, lebendiger und prägnanter Stil

Sie haben nämlich etwas, dass sie nicht nur in der Grundschule sondern auch im Gymnasium und an der Uni lesenswert macht, etwas das uns die endlos heruntergelaïerten Fabeln unserer Kindheit in einem anderen Licht erscheinen lässt. Leider bleibt diese Besonderheit allen die der französischen Sprache nicht mächtig sind, verborgen. Die Fabeln sind ein Meisterwerk der französischen Dichtkunst. Dem Anschein nach, einfach und kindgerecht, handelt es sich in

Wirklichkeit um hohe Kunst, das Versmaß der Rhythmus, die Reime die Reinheit ihrer Sprache und vor allem ihre Kürze. Und die kürzesten Werke sind ja bekanntlich die Besten. Wer hat das noch einmal gesagt ? Tja, ich glaube fast, das war Jean de La Lafontaine.

[Musik]

 

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Die Fabeln von La Fontaine wurden von einer Vielzahl von Zeichnern reichlich illustriert. Hier sind einige Bilder aus "La Fontaine. Fables choisies". Paris, Chez Martinet, um 1890.

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